El fuego no muere - Die Flamme stirbt nicht 
                                             

TINA MODOTTI (1896-1942)
Der Name mag nicht jeder/jedem so bekannt und geläufig sein, ihre Fotos jedoch sind weltberühmt - gemeint ist eine ungewöhnliche Frau - die Fotografin Tina Modotti.

Wanderin

Tina Modottis Leben glich einem Nomadendasein: In Udine, Italien 1896 geboren, wanderte ihre Familie nach Kalifornien aus, zog von San Francisco nach Los Angeles; später übersiedelte Tina nach Mexiko, wurde dort ausgewiesen und gelangte per Schiff nach Rotterdam. Auf der Flucht vor den italienischen Faschisten fand sie zunächst in Berlin politisches Asyl, zog aber schon bald nach Moskau und reiste von dort nach Spanien um über den Bürgerkrieg zu berichten. Nach der Niederlage der Republikaner hieß es erneut Flucht - diesmal nach Frankreich. Tina Modotti fand ihr letztes Exil in ihrer Wahlheimat Mexiko, wo sie 1942, erst 45jährig, starb. Die rund zehn Jahre, die sie insgesamt in Mexiko verbrachte, waren der längste Zeitraum, in dem sie als Erwachsene in einem Land lebte. In diesen Jahren schuf sie den Großteil ihres fotografischen Werkes.

Italien/USA

Tina wächst in einem ärmlichen Elternhaus auf. Die neunköpfige Familie leidet Hunger. Tina, elfjährig, arbeitet 12 Stunden pro Tag in einer Seidenfabrik. Der Vater, ein politisch engagierter Sozialist, beschließt mit seiner Familie, nach Kalifornien auszuwandern, um dort eine neue Existenz aufzubauen.

Tina heiratet 1917 den jungen Maler und Dichter Roubaix de L'Abrie Richey. Ihr Zugang zu den Künstlerkreisen Hollywoods trägt ihr einige Rollen in kommerziellen Wildwestfilmen ein, in denen Regisseure sie als feurigen südländischen Vamp von auffallender Schönheit in Szene setzen. Nach fünfjähriger Ehe stirbt ihr Mann während eines Besuches in Mexiko. Neben ihrem Beruf als Schauspielerin verdient sich Tina zusätzlich Geld als Modell für den mexikanischen Maler Diego Rivera und den amerikanischen Fotografen Edward Weston. Die Beziehung zu Weston wird für Tinas weiteres Leben entscheidend. Zunächst Modell und Geliebte, dann Assistentin und schließlich Schülerin, strebt sie eine eigene Karriere als Berufsfotografin an und lässt sich von Weston ausbilden. Sein ästhetischer Ansatz beruht auf dem Wunsch, der Fotografie den Status der reinen Kunst zu verschaffen. Dieses Vorbild findet sich auch in den frühen, vom Formalismus Westons geprägten Fotografien Tina Modottis wieder.

Mexiko - Der neue Anfang und die Politik

Mexiko mit seiner revolutionären Politik zog in den zwanziger Jahren viele ausländische Besucher an, darunter auch Weston und seine Begleiterin Tina Modotti. Durch das, was sie in Mexiko vorfand und erlebte, wurde sie zutiefst verändert. Sie entschloss sich allein in Mexiko zu bleiben und dort zu leben. Mexiko bedeutet einen Einschnitt im Leben und Schaffen der Künstlerin. Dort entwickelte sie sich zu einer sozialkritischen und engagierten Frau, die ihre fotografischen Fähigkeiten nicht mehr länger nur als Kunstfertigkeit ausüben wollte, sondern sie dazu nutzte, aufzuklären, anzuklagen und die Revolution zu unterstützen. Mit ihren Bildern schuf sie Zeitdokumente, Sozialreportagen und vermittelte politische Aussagen. 1927 wird Tina Modotti sogar Mitglied der kommunistischen Partei. Sie beteiligt sich an Kampagnen für Sandino, hält Reden gegen Mussolini.

Über Fotografie

Tina Modotti hat ihre Fotos selbst nie als Kunst angesehen, obwohl sich alle Rezensenten darüber einig sind, dass die Einmaligkeit der Fotografien Tina Modottis darin zu sehen ist, dass sie es verstand, Kunst und politisches Engagement ideal zu verbinden. Ihre Bilder sind arrangiert, um doch wie zufällige Schnappschüsse zu erscheinen. Konstruiert und doch selbstverständlich wirken sie auf den Betrachter/die Betrachterin. Im häufig aufgegriffenen Motiv der Zusammenstellung von Gitarre, Maiskolben, Sichel und Patronengurt als Symbole der mexikanischen Revolution zeigt Tina wie sie ohne dabei ästhetische Gesichtspunkte außer acht zu lassen, eine künstlerische Form dokumentarischer Darstellung erzielt.

Tina Modotti hat sich von einem Objekt der Schönheit, das andere für ihre Kunst verwandten, zu einer Berufsfotografin entwickelt. Sie lenkte damit den durch die Kamera auf sie gerichteten Blick zurück nach außen. Das hieß auch, dass sie als Frau mit dem Bild von Frauen und von sich selbst anders umging, als ihre männlichen Kollegen, Lehrer und Arbeitsgeber. Sie bildete Frauen auf ganz andere Weise ab, als sie selbst abgebildet worden war. Tina musste auch unter ihrer Schönheit, ihrem anfänglichen Arbeitskapital, leiden. Sie hasste es, permanent daraufhin angesprochen zu werden. Die Zeitgenossen erinnerten sich nur allzu gern daran, dass Tina als eine der ersten Frauen in Mexiko, Jeans trug. Tina Modottis Lehrer Edward Weston wurde als Fotograf weiblicher Akte weltberühmt. Seine Bilder lassen - obwohl von ihm selbst stets bestritten - klare erotische Visionen als Interpretation zu und zeigen damit verknüpft ebenfalls eine Form der sexuellen Unterdrückung der Frau. Westons Aktfotos von Tina Modotti sind oft von oben aufgenommen und sehen auf sie herunter, wie sie passiv, sich sonnend oder schlafend, in einer konventionellen Pose auf dem Boden liegt. Die Fotografien von Tina Modotti zeigen keine "Schönheiten", sondern bäuerliche, proletarische Frauen, die von ihren Lebensbedingungen gezeichnet sind. Oft handelt es sich dabei um Mütter mit Kindern, die bei der Arbeit gezeigt werden und nicht in einer Pose für die Kamera isoliert. Die Bilder von Hunger und Elend, was es bedeutet, ein Kind oder schwanger zu sein, sprechen für sich. Die Bilder sind häufig auch gestellt und komponiert, doch die fotografierten Personen wenden sich direkt an die Kamera und blicken aus dem Bild heraus den Betrachter/die Betrachterin an. Das wohl berühmteste Foto Tina Modottis ist die "Frau mit anarchosyndikalistischer schwarzer Fahne", so der Titel des Bildes. Es zeigt eine stolze, aufrechte Frau, halb ein- und umhüllt in eine im Winde flatternde Fahne. Sie trägt mit Würde und Bewusstsein das Symbol ihrer politischen Anschauung "um sich herum" - sie ist fast eins -, die Frau mit ihrer Fahne. Das politische Engagement und die gesellschaftlichen Zustände enthüllen auch die gesellschaftliche Stellung der Frau, die als Fotografin und Dokumentarin bei politischen Versammlungen häufig als einzige Frau zugegen gewesen sein dürfte.

Tina Modotti versuchte sich an immer neuen Themen. Sie fotografierte Leute auf der Straße, bei der Arbeit. Sie war ständig unterwegs - rastlos, ruhelos. Sie trug nie private Gegenstände mit sich herum, schmückte ihre wechselnden Quartiere nicht aus, sie war nirgends zuhause, suchte keine Geborgenheit in einer von ihr selbstgestalteten Umgebung, in der sie verweilen, ausruhen konnte, denn dies hätte bedeutet, nicht mehr so flexibel zu sein, sich zu etablieren, statt zu protestieren und Partei zu ergreifen. Die Wände ihres Fotostudios waren weiß, später schrieb sie einige Sätze von Marx und Lenin darauf.

Es gibt Fotoserien von Tina, die die Frauen von Tehuantepec zeigen, Szenen mit Müttern und ihren kleinen Kindern, von den Armen in Mexiko City, von Landarbeitern auf Demonstrationen oder beim Lesen der kommunistischen Parteizeitschrift "El Machete". Sie liebt Leute, Menschenmengen, vor allem ihre Ballung in Massenbewegungen - was sie gelungen in einem Meer aus Hüten oder bäuerlichen Sombreros symbolisiert hat; ihr Thema kann der Winkel einer Treppe sein oder das feine Muster von Telegraphiedrähten vor dem bewölkten Himmel - Fotografie als Medium zum Ausdruck des modernen Lebens und der Arbeit, so auch die Bilder von Arbeitern auf einem Bausgerüst, autofahrend, auf Öltanks, beim Stahlschweißen.

Die Kommunistin

Ihrem aktiven politischen Engagement und ihrer Arbeit in der Kommunistischen Partei folgen auch Rückschläge. 1929 muss sie mit ansehen wie ihr Freund, der kubanische Revolutionär Antonio Mella, auf offener Straße von bezahlten Mördern erschossen wird. Als eine der Gründerinnen der "antifaschistischen Liga" hält sie mehrere Reden gegen Mussolini, worauf die Geheimpolizei Italiens gegen sie ermittelt. 1930 wird sie im Zuge einer breitangelegten Kommunistenjagd unter einem Vorwand aus Mexiko ausgewiesen. Mit dem Schiff gelangt sie nach Rotterdam, von wo sie nach Italien abgeschoben werden soll. Holländische Kommunisten verhelfen ihr jedoch zur Flucht nach Berlin. Dort kommt ihr zum ersten Mal der Gedanke, das Fotografieren aufzugeben. Ihre Art Fotos zu machen, ist in Berlin schon bekannt. Es gibt eine Vereinigung von Arbeiterfotografen. Diese Arbeiter fotografieren selbst. Tina spürt, dass es auch hier etwas für sie zu tun gibt, doch sie weiß noch nicht was. Erst in Moskau, wo sie theatralisch ihre Kamera in die Moskwa wirft, beginnt sie ihre neue Tätigkeit als Mitarbeiterin der Roten Hilfe. Als Übersetzerin und Kurier, als Autorin auf der Broschüren und Aufrufen verrichtet sie wichtige Aufgaben. Im Auftrag der Roten Hilfe reist sie nach Spanien, nimmt den Namen "Maria" an, stellvertretend für alle Marias Spaniens und kämpft auf Seite der Republikaner. Sie organisiert Krankenhäuser und Lazarette, hilft den Verletzten. Nach dem Sieg Francos flüchtet Tina nach Frankreich und darf nun mit ihrem damaligen Freund, dem italienischen KP-Funktionär Vittorio Vidali wieder nach Mexiko zurückkehren. Doch ihre Gesundheit ist stark angegriffen. Sie stirbt in den frühen Morgenstunden des 5. Januar nach einem Treffen mit Freunden an einem Herzschlag.

Ihre Freunde, unter ihnen Majakowski, Alexandra Kollontai, B. Traven, Anna Seghers, Pablo Neruda, der ein Gedicht über sie schreibt, liebten ihre kraftvolle Persönlichkeit, ihren Verstand, ihre Ausdauer und ihre radikale Sicht auf die Dinge und die Welt.

Katharina Becker

Artikel entnommen aus der Zeitung "Im Blickpunkt der Berlinerin", Ausgabe vom 1. Januar 1987.